Der Atem

Der Atem - unser Lebenselixier!

Wie man mit kohärenter Atmung bewusst, einfach und nachhaltig etwas für ein gesünderes Leben tun kannst!

Als Geburtshelferin erinnere ich in vielerlei Hinsicht den allerersten Atemzug eines Neugeborenen, der dazu dient, die Lungen vollkommen zu entfalten. Nie wieder im Leben füllen sich die Lungen mit so viel Luft! Das Ankommen in diesem Leben ist ein magischer Moment! Staunend und demütig wohnte ich diesem einzigartigen Geschehen oftmals bei, ohne darin eine Routine zu erkennen zu können. Immer einzigartig, jedes Menschenkind anders! Von dem Augenblick der Geburt an wird ein Mensch im Laufe seines Lebens im Durchschnitt bei einer Lebenserwartung von ca. 80 Jahren etwa 600–650 Millionen Atemzüge machen. Was für eine unfassbare Zahl!

“Atmen ist der erste Akt des Lebens und der letzte. Zwischen diesen beiden Momenten ist es unser ständiger Begleiter.“

Joseph Pilates

Unser Atem entscheidet über unser Leben. Atem und Leben gehören unauflöslich zusammen. Unser Körper stirbt, wenn wir aufhören zu atmen. Während unserer Lebenszeit passt er sich jedoch unweigerlich unseren Gewohnheiten an und zeigt sich als ein sehr flexibles Instrument. Er wird von uns Menschen als gegeben angenommen ohne dass wir unser Bewusstsein auf ihn lenken. Daher ändert sich sein Rhythmus und seine Tiefe über die Zeit zu etwas hin, was nicht mehr unserer Wesensnatur entspricht. Physiologische Abläufe in unserem Körper folgen dieser Veränderung und können Spuren hinterlassen, die wiederum unsere Gesundheit beeinträchtigen.

In unserer erfolgsorientierten Gesellschaft spiegelt die Atmung zum Beispiel den Rhythmus von Stress wider. Der Atem folgt, indem er flach, schnell sowie unregelmäßig wird. Es wird von einer chronischen Form der Hyperventilation gesprochen mit all ihren schädlichen Auswirkungen für unseren Körper auf Stoffwechselebene. Bluthochdruck, Schlafstörungen, Depression und weitere Symptome können die Folge sein.

Haben wir mittlerweile vergessen, was es bedeutet, richtig zu atmen?

“Der Atem öffnet den Weg zur Heilung.”

David Elliott

Unsere Atmung ist der essentielle Lebensprozess (Ralph Skuban). Wenn wir in Verbindung mit unserer innewohnenden Lebensenergie gehen – zum Beispiel in einer täglichen Routine der Selbsterfahrung wie der Meditation, der Yogapraxis u.v.m. - treffen wir unausweichlich auf unseren Atem. Indem wir unsere Atemzüge feinjustieren und unser Bewusstsein dorthin lenken, wird der Atem zu einer sensiblen Möglichkeit, uns auf ganz einfache Art und Weise Gutes zu tun und in Selbstfürsorge für die eigene Gesundheit einen effektiven Beitrag zu leisten. Dafür müssen wir nicht unbedingt die komplexe Physiologie dahinter verstehen. Denn die Erfahrung ist unmittelbar: gleichmäßige, ruhige, bewusste und tiefe Atemzüge beruhigen unser Sein! Wir bauen akuten Stress ab und erhöhen unsere Stressresilienz! Wir Menschen können trotz schwieriger Umstände unsere innere Balance wiederfinden und unmittelbar unser Befinden verändern. Welch gute Nachricht! Wohlsein, Freude und innerer Frieden werden zu unserem täglichen Begleiter. Erstrebenswert, nicht wahr? Und die Wirkung auf Stress ist nur ein Beispiel von vielen.

Über eine nicht aktiv eingreifende Beobachtung unserer Atmung finden wir Zugang. Wir tasten uns langsam heran und lernen uns auf einer bewussten Ebene kennen. Es geht hier nicht um „richtig“ und „falsch“. Es ist eine Forschungsreise, die gleichzeitig zur Meditation werden kann. Nur wenige Minuten am Tag reichen aus. Meist lässt uns die Beobachtung selbst schon ruhiger und sanfter atmen.

Im Kontakt und Austausch mit meinem Atem bekam ich folgende berührende Botschaft:


Mein Atem spricht:

„Ich fühle mich leicht und unbeschwert.

Durch mich atmet der Puls der Welt und der Puls des Universums.

Am Ende ist es der Puls der Welt, der sich mit dem Puls des Universums verbindet.

Ich verbinde das Feinstoffliche mit dem Materiellen auf eine ganz leichte Art und Weise.

Ich bin Kommunikationsraum zwischen Innen und Außen.

Ich bin die Trennung, die am Ende keine ist.

Ich hebe die Trennung auf.

In mir und durch mich wird alles ruhig und still.

Mehr gibt es zu mir, nicht zu sagen.“


Es gibt vielfältige Atemtechniken mit unterschiedlichsten Intensionen. Die Möglichkeiten sind seit Jahrtausenden in vielen Kulturen bekannt. Auch Neuerungen werden beschrieben und finden Anklang bei Therapeuten und Klienten, die sich über positive Effekte freuen.

Hier in diesem Blog möchte ich mich auf die Natürlichkeit der Atmung, ihrer Beobachtung und Kohärenz beschränken.

Welche Aspekte umfasst eine natürliche Atmung?

  • Nasenatmung

  • langsam, leise und sanft

  • gleichmäßiger Rhythmus und Tiefe

  • kaum sichtbare Atembewegung

  • diaphragmatisch (Zwerchfellatmung), der Atem fließt nach unten, der Brustkorb bewegt sich kaum

  • anstrengungslos

  • passives Loslassen in der Ausatmung

Bei der Beobachtung eines Babys sehen wir genau das! Sie zeigen uns diese ganz unberührte, natürliche Art des Atmens.

“Atmen sie bewusst. Es ist die erste Freiheit, die sie je hatten.”

Deepak Chopra

In einer beobachtenden Rolle geht es darum, ganz ehrlich mit sich zu sein, um eventuell festzustellen, dass unser Atemmuster von dem oben genannten abweicht. Die Beobachtung ist frei von jeder Bewertung. Sie kann in einer tagtäglichen Umsetzung über wenige Minuten unser Feingefühl geschult werden. Wir erlangen tiefe Erkenntnisse über uns selbst.

Das kohärente Atmen liebe ich so sehr, weil es wie „unsichtbar“ in den Alltag einfließen kann und unmittelbar in schwierigen Situationen einen grandios beruhigenden Effekt in kürzester Zeit hat. Ich durfte das immer wieder persönlich erfahren und empfinde tiefe Dankbarkeit für diese immerwährende Hilfe, die mir mein Körper über den Atem zur Verfügung stellt - ein Leben lang! Als Ärztin im komplexen und stressigen Klinikalltag haben mir 2-3 Minuten kohärente Atmung Ruhe, Gelassenheit und Klarheit für meine oft schwierigen und herausfordernden Aufgaben geschenkt. Dafür durfte ich mir die Zeit nehmen. Alleine das chirurgische Händewaschen dauert 3 Minuten. Der perfekte Ort für kohärente Atmung am Waschbecken vor einer OP. Der Umgang mit den Mitmenschen - Arbeitskollegen, Patienten, Angehörige - wurde entspannter. Mir wurde oft nachgesagt, dass ich “etwas anders mache” als meine Kollegen. Es ließ sich von Außen nicht klar benennen. Aber es waren Worte, die mir immer wieder in der Arbeitswelt begegneten. Viel gesprochen habe ich damals in der Medizinerwelt darüber nicht.

In den letzten Jahren wurde bezüglich des langsamen Atmens viel geforscht. Wir wissen, dass Herz, Atmung und Hirn zusammen schwingen. Es gibt zwischen diesen 3 Instanzen ein harmonisch schwingendes System, welches miteinander kommuniziert (Herzintelligenz). Das können wir uns nutzbar machen. Messbar wird dieser Gleichklang (Kohärenz) in der Herzratenvariabilität: je variabler, desto gesünder. Bei einem gesunden Herzen sind die Intervalle zwischen den einzelnen Schlägen nie vollkommen identisch. Das Herz passt sich neuen Bedingungen wie Gefühlen, Sinnesreize, Stress etc. beweglich an. Starre ist an dieser Stelle nicht gewünscht!

“Einatmen heißt zu feiern, dass wir lebendig sind!”

Thích Nhất Hạnh

Was bedeutet das für die Atempraxis? Verlangsamen wir unsere Atmung, verbessert sich die Herzratenvariabilität und unsere Gesundheit. Mit der „kohärenten Atmung“ wird eine Atemtechnik angeboten, mit der diese Phänomene im Detail untersucht wurden und uns eine einfache, praktikable Möglichkeit bietet, die wir leicht und kostenfrei in unseren Alltag integrieren können. Der magische Bereich der langsamen Atmung - wie die Wissenschaft belegen konnte - liegt bei 5,5 Sekunden für jeweils Ein- und Ausatmen. Das sind ca. 5,5 Atemzüge in der Minute. Das optimale Atemzugvolumen liegt bei 5,5 Liter. Erstaunlich, nicht wahr? Wir finden diesen Rhythmus beim Rezitieren von Gebeten wie das Ave Maria des Rosenkranzgebets oder aber auch des Om mani padme hum, eines der bekanntesten Mantras der buddhistischen Mönche. Auch das wurde wissenschaftlich untersucht. Wir können jahrtausend alte Erkenntnisse der Menschheit für uns nutzen und freuen uns über wissenschaftliche Belege der heutigen Zeit!

Praktizieren wir regelmäßig, erzielen wir einen nachhaltigen, gesundheitsförderlichen Effekt. Atmung, Herzschlag, Blutkreislauf und das vegetative Nervensystem synchronisieren sich und arbeiten maximal effizient miteinander. Das nennen wir dann auch gerne Aktivierung der Selbstheilungskräfte!

Wie kann kohärente Atemarbeit unser Leben verändern?

  • Sie trainiert die Atemmuskulatur, insbesondere des Zwerchfells.

  • Die Herzleistung nimmt zu.

  • Sie senkt den Blutdruck.

  • Sie aktiviert den Parasympathikus und fördert dadurch Entspannung.

  • Sie steigert Wohlbefinden, Stabilität, Eigenwahrnehmung und Gesundheitsbewusstsein.

  • Sie ist ein Mittel zur Gesundheitsvorsorge.

  • Sie verbessert den Umgang mit Akutsituationen.

Die Grundregeln des kohärenten Atmens sind so einfach, dass sie fast für jeden anwendbar sind:

  • Regelmäßige Atmung, Ein- und Ausatmen gleich lang, keine Pausen zwischen den Atemzügen

  • Die Atmung folgt einem beständigen, gleichbleibenden Rhythmus, ca. 5 – 6 Atemzüge/Min.

  • Atemvolumen ca. 5,5 l, entspricht einer mittleren Tiefe = mittlere Bewegung des Zwerchfells.

  • Das Einatmen ist ein aktiver Prozess, das Ausatmen erfolgt passiv.

  • Nasenatmung

“Wenn du die Kontrolle über deinen Atem gewinnst, gewinnst du die Kontrolle über deinen Geist.”

Paramahansa Yogananda

Mich persönlich begeistert Einfachheit, Schlichtheit in Kombination mit Effektivität, die durch Wissenschaft belegt ist und nichts kostet. Am Ende ist der Menschheit seit Jahrtausenden bewusst, das unsere Atmung die Basis für den perfekten Ablauf der Körpersysteme ist, die unsere Gesundheit aufrechterhalten.

Jeder Einzelne darf die Entscheidung treffen, das Wunderwerk „Körper“ mit all seinen Facetten so zu nutzen, dass dieser uns heil und lange durch das Leben begleitet. Der natürliche Atem ist das Fundament eines gesunden Lebens.

Gefühle kommen und gehen wie Wolken am Himmel bei Wind. Das achtsame Atmen ist mein Anker im Hier und Jetzt.
— Thích Nhất Hạnh

Wir alle tragen Verantwortung für unser Leben! Das darf immer wieder tief in unser Bewusstsein dringen. So beginne:

“Setze dich hin und komme für eine Weile zur Ruhe. Atme bewusst langsam, sanft und gleichmäßig...”

Mit “atmenden” Grüßen

Eure Andrea

Bücher über den Atem, die mich begeistern:

James Nestor: Breath ATEM, Neues Wissen über die Kunst des Atmens, Piper, ISBN 978-3-492-05851-3

Ralph Skuban: Die Buteyko Methode, Crotona Verlag, ISBN 978-3-86191-120-3

Ralph Skuban: Pranayama, die heilsame Kraft des Atems, Aquamarin Verlag, ISBN 978-3-89427-793-2

Wilfried Ehrmann: Kohärentes Atmen: Atmung und Herz im Gleichklang, tredition, ISBN 978-3-347952966

Foto: CANVA

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